Hildegard Müller hat erneut einen schnellen und massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland angemahnt. “In ein paar Jahren werden so viele E-Autos auf den Straßen sein, dass wir mindestens eine Million Ladepunkte brauchen“, sagte die Präsidentin des Automobilverbandes VDA in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. “Jede Woche müssten 2000 neue entstehen, derzeit schaffen wir aber nur 300.” Das Vertrauen der Verbraucher in eine zuverlässige Ladeinfrastruktur sei aber die Grundlage für den weiteren Ausbau der E-Mobilität.
Ein Problem sei, so Müller dass der Ausbau aktuell nicht marktgetrieben erfolge – schon gar nicht bei immer kürzeren Fristen, die die Politik für den Umstieg auf E-Mobilität setzt. Auf Dauer werde der Betrieb von Ladesäulen aber wirtschaftlich sein. Ein wichtiges Thema sei aber auch eine ausreichende Netzstabilität. Das müsse von der Bundesnetzagentur koordiniert und kontrolliert werden.
Große Sorgen macht der VDA-Präsidentin der vergleichsweise schleppende Ausbau innerhalb der EU. “In drei Ländern – Deutschland, Frankreich, Niederlande – wurden bisher fast 70 Prozent aller europäischen Ladesäulen gebaut. Das darf so nicht bleiben.” Und selbst in Deutschland werde die Lücke zwischen E-Autos und Ladepunkten größer statt kleiner. Deshalb sei es richtig, die EU-Mitglieder zum Ausbau zu verpflichten.
Müller sieht dabei die EU-Kommission in der Pflicht. Wenn man festlegen könne, welche Autos in welchen Mengen in fünf Jahren verkauft werden sollen, dann könne man auch festlegen, welche Rahmenbedingungen durch die Staaten geschaffen werden müssen. “Die Transformation kann nur gelingen, wenn auch die Staaten ihre Hausaufgaben machen – bei der Ladeinfrastruktur, aber auch bei den industriepolitischen Maßnahmen.”
Eine weitere Herausforderung sei die Energieversorgung. Der Strom für E-Autos müsse europaweit grün werden. Das gehe nicht ohne Kooperationen über die EU-Grenzen hinaus. Die erforderlichen Solaranlagen und Windkraftwerke benötigten mehr Platz als in Deutschland zur Verfügung stehe. Deswegen müssten Flächen in Afrika und Lateinamerika genutzt werden. Das würde nach Ansicht der VDA-Präsidentin auch den Regionen bei ihrer Entwicklung helfen. “Wir werden künftig eine Außenpolitik betreiben müssen, die auch solche Rohstoffinteressen stärker in den Blick nimmt.”
Die EU müsse dringend die Folgen ihrer Politik abschätzen, mahnte Müller. Man dürfe nicht nur Ziele beschließen, sondern müsse sie auch praktisch umsetzen können. “Wenn Europa die engagiertesten Klimaziele der Welt hat, brauchen wir in Europa auch die weltbesten Standortbedingungen.” Es sei kontraproduktiv, wenn Arbeitsplätze in Weltregionen abwandern, wo mehr CO₂ erzeugt wird, weil die Standortbedingungen dort besser sind.
Dass ab 2035 sollen in Europa nur noch E-Autos neu zugelassen werden, hält Müller für “sehr ambitioniert“, allerdings könne das für Deutschland sogar noch früher kommen. “Die CO₂-Ziele gelten im europäischen Durchschnitt, und deshalb kann es sein, dass wir für jedes E-Auto, das in einem anderen Land nicht verkauft wird, eines mehr in Deutschland verkaufen müssen.” Man müsse sich aber auch um die Fahrzeuge kümmern, die schon auf den Straßen sind. Da böten E-Fuels viel Potenzial.
Es sei aber auch nicht damit getan, die Autoindustrie zum Verkauf von E-Autos zu verpflichten. “Wir entwickeln die Autos, wir stellen die Werke um, aber alle anderen müssen auch mitziehen. Lademöglichkeiten, Grünstrom, Fördermaßnahmen für die Verbraucher, Re-Qualifikation der Beschäftigten – die Transformation fordert von allen viel.” Das müsse auch und gerade im Wahlkampf ein Thema sein. “Wir dürfen den Umbau der Industrie nicht verstolpern.”
Quelle: RND – VDA-Chefin Müller: “Kein Wahlprogramm wird der Dimension des Themas Klimawandel gerecht”