Trotz der aktuell starken Zuwächse sind im Bestand weniger als ein Prozent der Pkw in Deutschland Elektroautos. Das ist viel zu wenig, um die verschärften Klimaziele zu erreichen, warnt die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität in ihrem Abschlussbericht. Die Elektrifizierung des Straßenverkehrs muss nach Einschätzung der Regierungskommission in den kommenden Jahren deutlich an Fahrt gewinnen. Denn trotz erheblicher technischer Fortschritte „konnte der Verkehrssektor in den letzten Jahren die CO2-Emissionen nicht reduzieren“, heißt es im Ergebnisbericht. Die Notwendigkeit zum Handeln sei „dringender denn je, denn das Verkehrsaufkommen wächst insbesondere im Güterverkehr bei gleichzeitiger Verschärfung der Klimaschutzziele weiter.“
Dem Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien im Verkehr komme eine herausragende Rolle zu und bedeute eine enorme Kraftanstrengung, heißt es in dem Bericht. Bis 2030 müssen in Deutschland laut Einschätzung der NPM bis zu 14 Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs sein, um einen ausreichenden Beitrag zur Umsetzung der im Juni 2021 erneut verschärften Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu liefern.
Der Straßenverkehr ist für 95 Prozent der CO2-Emissionen im Verkehrssektor verantwortlich, wovon etwa zwei Drittel auf den Personenverkehr und etwa ein Drittel auf den Güterverkehr entfallen. Trotz aller verkehrsträger-übergreifenden Maßnahmen und Instrumente, wie Verkehrsverlagerungen sowie Ausbau des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs, wird der Straßenverkehr der wichtigste Hebel für die CO2-Einsparungen sein. Im Personen- und Güterverkehr auf der Straße seien Einsparpotenziale von 33 bis 45 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 möglich.
Es gelte nun, alle relevanten Handlungsfelder, insbesondere auch die Digitalisierung, noch deutlich stärker zu nutzen und für den Klimaschutz im Verkehr zu aktivieren. Politik und Industrie müssen gemeinsam die nächsten Schritte angehen und das Bekenntnis, die Klimaschutzziele erreichen zu wollen, mit dem notwendigen Maß an Aktivität, Umsetzungskraft und Geschwindigkeit in Einklang bringen, fordert die NPM. Dafür müssen der Markhochlauf unterstützt und die von der NPM entwickelten Fahrpläne und bewerteten Instrumente umgesetzt werden.
Die NPM startete ihre Arbeit im Jahr 2018 auf Basis der nationalen Klimaschutzziele von 2016. Die Vorgaben aus dem Bundes-Klimaschutzgesetz und die neuen Ziele des European Green Deals aus dem Jahr 2021 sind zügig berücksichtigt worden, weil deutlich wurde, dass bestehende Rahmenbedingungen und bereits erarbeitete Korridore zur CO2-Minderung einzelner Maßnahmen ein ambitioniertes Vorgehen verlangen würden. Die Diskussionen in der NPM haben laut eigener Aussage gezeigt, welcher gesellschaftliche Konsens für einzelne Maßnahmen vorhanden ist und wo Konfliktlinien verlaufen.
Die ambitioniertere Ausgestaltung der Ziele habe die Herausforderungen bei der Umsetzung nochmals vergrößert. Es gilt, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, die gesellschaftlichen Gruppen davon zu überzeugen und alle auf diesem anspruchsvollen Weg mitzunehmen.
Ein Technologiemix verspricht die größten CO2-Einsparpotenziale
Damit der Wandel gelingt, brauche es einen Technologiemix: Die spezifischen Vorteile verschiedener Antriebsarten müssen im Hinblick auf die verschiedenen Nutzungsmuster zielführend kombiniert und eingesetzt werden, so die NPM. Der batterieelektrische Antrieb ist die am weitesten entwickelte Lösung für Pkw, die zudem die größte CO2-Einsparung verspricht.
Für schwere Nutzfahrzeuge zeichne sich noch keine Technologiepräferenz ab, aber auch in diesem Segment biete die Elektrifizierung (Batterie, Brennstoffzelle, Oberleitung) große Potenziale. Spätestens 2025 sollte jedoch eine Fokussierung erfolgen. Im Klimaschutzprogramm 2030 ist festgehalten, dass im Jahr 2030 ein Drittel der Fahrleistung im schweren Güterverkehr elektrisch oder auf Basis strombasierter Kraftstoffe erbracht werden muss. Verkehrsverlagerungen auf die Schiene und die weitere Elektrifizierung des Schienenverkehrs sind ebenso wichtige Hebel zur CO2-Reduzierung.
Im Bereich der urbanen Mobilität liegen die CO2-Minderungspotenziale in der Förderung sowie im beschleunigten Ausbau des ÖPNV, des Radverkehrs, der Multimodalität, der Elektrifizierung sowie der Gestaltung der weiteren Rahmenbedingungen für Verkehrsverlagerungen.
Im Jahr 2030 werden noch viele Millionen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren im Bestand sein. Für diese Bestandsflotte sowie für Antriebe, die sich nicht elektrifizieren lassen, bieten alternative Kraftstoffe eine Möglichkeit zur Minderung der CO2-Emissionen. Es werden jedoch erhebliche Mengen benötigt, um insbesondere die Bedarfe der Luft- und Schifffahrt zu decken.
Ohne den Ausbau der erneuerbaren Energien wird es nicht gehen
Klimaneutralität setzt voraus, dass alle Sektoren – soweit möglich – den Einsatz fossiler Energien durch erneuerbare ersetzen. Mit dem Hochlauf der batterie- und brennstoffzellenelektrischen Antriebe sowie der strombasierten Kraftstoffe entsteht im Verkehrssektor ein hoher Bedarf an nachhaltig produziertem Strom. Um diesen Bedarf zu decken, brauche es sowohl die enge Verknüpfung des Strom- und Verkehrssektors (Sektorkopplung) als auch den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und Lösungen für Energieimporte.
Es zeichne sich bereits jetzt eine zunehmende Sektorenkonkurrenz bei grünem Strom ab: Denn auch der Industriesektor (insbesondere Stahl, Zement und Chemie) und der Gebäudesektor (insbesondere Wärmeerzeugung), die weitaus mehr CO2 emittieren als der Verkehrssektor, werden ihre Klimaschutzziele nur durch den Umstieg auf erneuerbare Energien erreichen.
Dynamischer Aufbau zukunftsfähiger Lade- und Tankinfrastrukturen
Für den Einsatz alternativer Antriebe sei auch eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Infrastruktur notwendig, die nachhaltig und ohne Dauersubventionen betrieben werden müsse. Technologische Konzepte für Fahrzeuge und Infrastruktur müssen gemeinsam entwickelt werden. In den letzten Jahren wurde insbesondere die Ladeinfrastruktur für Elektroautos stark ausgebaut, die aufgrund des bislang geringen Auslastungsgrades nur in wenigen Fällen wirtschaftlich betrieben werden könne. Im Bereich der Wasserstoff(H2)- Tankinfrastruktur können sogenannte Ankerkunden wie Speditionsunternehmen oder ÖPNV-Betriebe gerade in der Anfangsphase Wirtschaftlichkeitsperspektiven bieten.
Um eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Ladeinfrastruktur aufzubauen, wurde ein dynamisches Bedarfsmodell der NPM erarbeitet. Dieses setzt den Ausbau der Infrastruktur nicht nur ins Verhältnis zum Hochlauf der Fahrzeugzahlen, sondern orientiert sich auch an den Nutzungsmustern der Kund:innen und dem Anteil der Schnell- und Normalladeinfrastruktur.
Mobilität von morgen durch Digitalisierung verbessern
Der Einsatz der Digitalisierung ermögliche nie dagewesene Möglichkeiten eines Mobilitätswandels. Sie mache das Verkehrsangebot vielfältiger, verbessere die Mobilitätsversorgung in der Stadt und auf dem Land und erhöhe den Anreiz, auf umwelt- und klimafreundliche Alternativen umzusteigen. Unterschiedliche Verkehrsträger werden vernetzt und ermöglichen beispielsweise durch autonom fahrende Shuttles attraktive multi- und intermodale Mobilitätsangebote.
Um dieses Zielbild zu erreichen, brauche es ein Ökosystem von Mobilitätsdaten, das mit Daten von Nutzer:innen, Verkehrsmitteln und der gesamten Verkehrsinfrastruktur gespeist wird. In diesem Ökosystem werden geeignete Schnittstellen und Datenaustauschformate über diskriminierungsfreie, digitale Mobilitätsplattformen hergestellt.
Standards und Normen für einen erfolgreichen Mobilitätswandel
Standards und Normen seien der Schlüssel, um die Teilsysteme des Mobilitätssystems zu verbinden. Sie schaffen einen verlässlichen Rahmen, an denen Unternehmen ihre Entwicklungen ausrichten können. Die NPM hat Normungs-Roadmaps zu zentralen Themen der Transformation des Mobilitätssektors vorgelegt – zum intelligenten Lastmanagement, zum automatisierten und vernetzten Fahren sowie zur Umsetzung intermodaler Mobilität.
Darüber hinaus hat die NPM in der Schwerpunkt-Roadmap „Nachhaltige Mobilität“ aufgezeigt, wie Standards und Normen, etwa im Bereich der ökologischen Bilanzierung oder der Transparenz von Lieferketten, die Marktfähigkeit von Innovationen für eine nachhaltige Mobilität fördern können. Die Plattformarbeit macht zudem deutlich, dass Standards und Normen international verankert und umgesetzt werden müssen, um ihre innovationsfördernde Wirkung zu entfalten.
Neue Wertschöpfungskreisläufe und zukunftssichere Arbeitsplätze
Der Wandel der Mobilität stellt Deutschland als Industrie- und Wirtschaftsstandort vor große Herausforderungen, auch mit Blick auf viele Beschäftigte und betroffene Regionen, deren Wohlstand aktuell noch an den bisherigen Geschäftsmodellen und Technologien hängt. Es bieten sich jedoch große Chancen, aus dem Wandel gestärkt hervorzugehen, Deutschland auch in Zukunft als Leitanbieter und Leitmarkt zu verankern, sowie gute und zukunftssichere Arbeitsplätze in Deutschland und Europa zu schaffen.
Ein in diesem Sinne positiver Verlauf der Transformation der Mobilitätswirtschaft sei aber keineswegs ein Selbstläufer, warnt die NPM in ihrem Bericht. Die Politik müsse hier an vielen Stellen und auf allen Ebenen aktiv unterstützen. Es sei für den Erfolg entscheidend, dass die Komponenten für neue Antriebskonzepte innerhalb Europas im großindustriellen Maßstab nachhaltig wettbewerbsfähig gefertigt und im Kreislauf geführt werden können. Neue Wertschöpfungskreisläufe müssen dazu in Deutschland und Europa aufgebaut werden und bisher bestehende Lücken geschlossen werden.
Dazu müssen Forschung und Entwicklung in den relevanten Bereichen zielgerichtet gefördert und Rahmenbedingungen für neue Felder richtig gesetzt werden, etwa in der Batterieproduktion, der Elektronik oder der Wasserstofftechnologie. Mit dem Wandel im Mobilitätssektor verändern sich auch die Berufsprofile und Kompetenzbedarfe der Belegschaften. Unternehmen und Beschäftigte brauchen Unterstützung in diesem Wandel, so die NPM. Sie müssen Qualifizierungsbedarfe frühzeitig erkennen, um sich darauf einzustellen. Unternehmen sollten sich und ihre Mitarbeitenden durch strategische Personalplanung frühzeitig auf die Veränderungen vorbereiten.
Die Politik könne in den Regionen des Wandels dabei helfen, Unternehmen, Gewerkschaften, Weiterbildungsträger und Beschäftigte zusammenzubringen, um Arbeitslosigkeit durch den Abbau des bestehenden Bedarfs zu verhindern und gezielt für die künftigen Bedarfe zu qualifizieren.
Die Zukunft der Mobilität weiterdenken
Der Mobilitätswandel schreitet seit Einsetzung der NPM im Herbst 2018 sehr dynamisch voran, und der Weg zu einem nachhaltigen, bedarfsgerechten, sicheren und bezahlbaren Mobilitätssystem von morgen ist und bleibt eine Herkulesaufgabe für alle Beteiligten, so die NPM zusammenfassend. In den kommenden Jahren werde es nicht zuletzt darum gehen, die Resilienz des Mobilitätssystems zu stärken, die Wirkung der Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr zu beobachten und zu justieren, alternative Antriebe und Kraftstoffe in den unterschiedlichen Anwendungen auf den Markt zu bringen sowie den öffentlichen Verkehr und den Radverkehr weiter auszubauen.
Zudem gelte es, Verkehre zu vernetzen, das Mobilitätssystem auf Basis von Daten zu verbessern, die Sektorkopplung voranzubringen, geeignete Lade- und Tankinfrastrukturen aufzubauen, durch Standardisierung ein verlässliches Mobilitätssystem zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze am Standort zu erhalten.
Die Bewältigung der Herausforderungen und Aufgaben sei machbar, erfordere aber eine hohe Geschwindigkeit und forcierte Umsetzung. Ein auf wissenschaftlichen und praktischen Erkenntnissen basierender, lösungsorientierter, strukturierter Expertendialog mit der Politik, wie er in der NPM angelegt ist, könne als Blaupause für die künftige Begleitung des Mobilitätswandels dienen. Ein solcher Beratungsprozess sollte fortgesetzt und um einen breiten gesellschaftlichen Dialog ergänzt werden, um fachliche Expertise und gesellschaftliche Kommunikation stärker zu verbinden und den Anforderungen des Wandels gerecht zu werden.
Quelle: NPM – Mobilität von morgen ganzheitlich gestalten: Ergebnisse aus drei Jahren NPM (PDF)